LEGAL DESIGN ist ein holistischer Methodenansatz, mit dem sich die Herausforderungen des sich vor allem durch die Digitalisierung sowie die Erwartungshaltung der (Rechts-)Anwender / Nachfrager verändernden Rechtsmarktes, meistern lassen. Dabei geht es um eine Kombination aus Recht und Design, bei der die Denkweise von Designern auf juristische Fragestellungen übertragen wird. Das primäre Ziel ist es, nutzerzentrierte, relevante Lösungen und Innovationen zu entwickeln – egal ob analog oder technisch. Legal Design bietet dem Rechtsmarkt einen neuen Denkrahmen mit wertvollen Werkzeugen und Instrumenten – mit denen sich nachhaltige Lösungen erarbeiten lassen. Neben der stets kollaborativen Zusammenarbeit und meist interdisziplinären Zusammensetzung von Teams ist u.a. der ökosystemische Blickwinkel eine Besonderheit: der Nutzer eines Services oder Produktes oder der Anwender einer technischen Lösung im Kontext seines Ökosystems steht im Mittelpunkt aller Überlegungen.
Einleitung
Die Rechtsindustrie befindet sich in einem massiven Umbruch. Digitalisierung, Technisierung und Kostendruck verändern die Erwartungshaltung aller Beteiligten. Technik soll längst umständliche, sich immer gleich wiederholende Aufgaben ausführen und künftig sogar intelligent werden. Mit den technischen Veränderungen, die im juristischen Kontext gerne mit Legal Tech bezeichnet werden, setzen sich derzeit schon eine ganze Menge Initiativen und Firmen auseinander. Legal Tech Angebote im B2C und B2B Rechtsmarkt schießen wie Pilze aus dem Boden. Mit der technischen Wandlung verändert sich aber auch die Erwartungshaltung in visueller Hinsicht – Infografiken und intuitives Nutzerdesign (UX, UI) haben uns alle lernen lassen, dass einfaches, simplifiziertes Design zu besserer und eindeutiger Verständlichkeit führt. Dazu ein einfaches Beispiel: Emoticons, Vektorgrafiken und Icons haben längst Einzug gehalten in den Alltag – sowohl privat als auch im Berufsleben. Dahinter steht nichts anderes als das Werk von Designern, die sich mit dem offenkundig existierenden Bedürfnis nach einfacher und sprachübergreifender Verständlichkeit auseinandergesetzt haben. Die milliardenfache Nutzung einfach zur Verfügung gestellter Emoticons z.B. auf unseren Smartphones beweisen: Telefonieren ist scheinbar out, die virtuelle Kommunikation soll schnell funktionieren, klar und unmissverständlich sein. Emoticons & Co sind nicht mehr interpretierfähig – ganz anders als die natürliche gesprochene Sprache, die durch Melodie und Betonung und zusätzlich auch durch Mimik und Gestik unterstützt wird. Dagegen führen rein schriftliche Ausführungen häufig zu Missverständnissen – sicherlich kann jeder von uns bestätigen, wie häufig z.B. Ironie nicht verstanden wird, wenn sie schriftlich ausgedrückt wird. Insoweit lösen Emoticons & Co ein großes Problem: Nutzer und Empfänger verstehen das Gleiche, es gibt weniger Raum für Missverständnisse. Egal ob man Emoticons mag oder nicht, ein weiteres Phänomen ist: fast alle von uns verwenden sie, einfach und intuitiv und sogar in jeder Altersgruppe.
Der vorstehende Exkurs zeigt: Stellen Designer den Bedarf der Nutzer von Systemen und Anwendungen ins Zentrum ihrer Überlegungen, kann etwas sehr Nützliches und Intuitives dabei herauskommen. Was können Juristen also von Designern lernen und was bringt die Verbindung der beiden Professionen? Kontextuelles Denken, Kollaboration, Problemverständnis, Ergebnisqualität und Aussehen.
Welche bestehenden Herausforderungen können mit Legal Design gemeistert werden?
- Recht schon bei der Designentwicklung von Produkten und Dienstleistungen beachten
Die Digitalisierung stellt neue Anforderungen an Produkte und Dienstleistungen. Legal Design hilft dabei, rechtliche Aspekte bereits früh in den Prozess der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung zu integrieren. Damit steht künftig nicht nur nutzerzentriertes Design im Vordergrund, sondern auch rechtliche Sicherheit.
- Die Perspektive von Juristen verändern
Juristen konzentrieren sich meistens zu sehr auf die rechtliche Korrektheit ihrer Verträge, Rechtsdokumente und Formulierungen, sie wollen möglichst schnell und effizient einen Lösungsweg finden, der etwaige Risiken limitiert. Dabei beachten sie häufig zu wenig den echten Bedarf ihrer Mandanten oder Gesprächspartner. Die Kombination von Legal Design Methoden und neuen Möglichkeiten im Bereich Legal Tech helfen dabei, einen holistischen Blick zu entwickeln – um zu bedarfsgerechteren und relevanten Rechtsdienstleistungen zu kommen.
- Was ist Legal Design?
Legal Design ist eine Kombination aus dem Fachwissen von Juristen mit dem Fachwissen von Designern, indem Denkmuster und Vorgehensmodell eines Designers auf juristische Fragestellungen übertragen werden. Legal Design ist eine in Deutschland noch relativ neue Disziplin, die sich in folgende Teilbereiche untergliedern lässt: Legal Service Design, Legal Product Design und Embed Legal in Product (und Service) Design.
Der Bereich Design lässt sich seinerseits in verschiedene Disziplinen unterteilen – in Organisations-, System-, Produkt-, Informations- und Service-Design. Jeder Unterbereich hat Einfluss auf Legal Design – und kann im Bereich Recht adaptiert werden.
Mit Legal Design Methoden
- können Legal Services neu und besser gestaltet werden,
- Legal Products verbessert werden und
- Rechtsfragen schon im frühen Produkt- und Serviceentwicklungszeitraum integriert werden.
- Zu 1) Gestaltung von Legal Services – das ist primär die Rechtsdienstleistung selbst und wie sie erbracht wird. Alles, was damit in Zusammenhang steht, ist Legal Design Methoden zugänglich wie z.B. die Gestaltung des Umfeldes einer Rechtsberatung, die Organisation, die eine Rechtsdienstleistung erbringt, auf welche Art sie erfolgt, welche Kommunikation und Information die Rechtsdienstleistung begleitet, wie verständliche Gesetze und Verträge formuliert und visualisiert werden und welche technischen oder analogen Instrumente zum Einsatz kommen – und zwar zu jedem Zeitpunkt (also entlang der sog. Nutzer Journey). In den Bereich Legal Service Design fallen auch die Fragen nach dem Zugang zum Recht oder wie Gesetzesanwendung und Rechtsprechung künftig erfolgen können – z.B. Rechtsprechung mittels Einbeziehung digitaler Unterstützung im Gerichtssaal oder zur Vorbereitung von Prozessen, z.B. mit digitalen Schnittstellen zwischen Anwalt und Gerichten etc.
- Zu 2) Verbesserung von Legal Products: Legal Products können z.B. Legal Tech Anwendungen sein, die eine Vielzahl immer gleichlaufender Abläufe so fasst, dass sie wie ein Produkt verstanden werden können, z.B. Flightright.de, geblitzt.de etc. Unter Legal Products können aber ggf. auch Ergebnisse einer Anwendung von Recht verstanden werden, wie z.B. Verträge, die automatisiert generiert werden und damit Produktcharakter bekommen. Genauso denkbar wäre es, automatische Analysetools als Legal Products zu definieren wie z.B. Contract Analysis Anwendungen oder ähnliche Angebote.
- Zu 3) Schließlich kann Legal Design auch bei der möglichen Einbettung rechtlicher Fragestellungen in Produkte und Services jeder Industrie eine große Rolle spielen. Im Zeitalter von z.B. digitaler Medizintechnik, selbstfahrenden Autos, Smart Contracts und IOT wird es immer wichtiger werden, z.B. Fragen des Datenschutzes und andere rechtlich relevante Auswirkungen auf den Konsumenten immer früher in den Designprozess von Produkten selbst zu integrieren. Rechtliche Fragestellungen können so in den Entwicklungsprozess einbezogen werden, dass Nutzer von Anwendungen oder Produkten einfacher und besser erfahren können, welche rechtlichen Komponenten die Nutzung oder Anwendung enthält, bsp. Cookie – Richtlinien, Akzeptanz von AGB im Internet, Datenschutz bei selbstsprechenden Produkten, die ggf. auch mithören und die Rechte von Nutzern verletzen können. Genauso denkbar ist aber auch eine minimalinvasive Einbettung, die aufgrund regulatorischer Vorschriften nötig ist, die das Produkterlebnis aber nicht vordergründig beeinträchtigen soll.
Service Design als Grundlage für Legal Service Design
Service Design ist ein Teilgebiet von Design und bezeichnet den Prozess der Gestaltung von Dienstleistungen. Service Designer gestalten Schnittstellen der an einer Dienstleistung beteiligten Systeme (z.B. Kommunikationsmittel, Visualisierungen, digitale Instrumente & Anwendungen, UX und UI etc.), definieren mittels variabel eingesetzter Analysetools den wirklichen Bedarf und entwickeln Ideen für nutzerzentrierte Lösungen. Dabei steht der künftige Nutzer und dessen Wünsche, Bedürfnisse und Hoffnungen im Kontext seines Ökosystems im Mittelpunkt aller Überlegungen.
Design Thinking – Service Design – Legal Design Thinking
“Design thinking is a human-centered approach to innovation that draws from the designer’s toolkit to integrate the needs of people, the possibilities of technology, and the requirements for business success.”
- Tim Brown, CEO of IDEO
Wie geht ein Designer vor? Er beschäftigt sich mit demjenigen, für den etwas geschaffen wird, schaut sich das Nutzer-Ökosystem an, in dem etwas stattfindet, er stellt Überlegungen an, welche Beteiligten es an einem Vorgang gibt und welche Interessen / Bedürfnisse sie haben. Er analysiert und strukturiert, er visualisiert, um es für sich und andere besser verständlich machen zu können. Er beobachtet und kreiert oder verbessert etwas in diesem Erkenntnis–Kontext. Er konfrontiert die Betroffenen und fragt nach Feedback – um schnelle Verbesserungen an einer Gestaltung oder einem Prozess vornehmen zu können. Eben dieses Denken und dieses Vorgehen nennt man: Design Thinking.
Service Design
Service Design basiert genauso wie klassisches Produkt- und Grafikdesign auf dem sog. Design Thinking – es werden dabei die Vorgehensmethoden und Denkstrukturen des Designers auf die Entwicklung und Verbesserung von Dienstleistungen übertragen.
Methodisch arbeiten Service Designer in der Regel eng mit Unternehmen und Organisationen zusammen und entwickeln kollaborativ kunden- und marktgerechte Dienstleistungen. Die richtige Zusammensetzung eines Teams ist dabei von grundlegender Bedeutung, denn nur wenn alle an einem Prozess beteiligten Sichtweisen in die Entwicklung eines Service einfließen, lassen sich die richtigen Probleme identifizieren und – meist interdisziplinär – nachhaltige Lösungen entwickeln. Darüber hinaus wird in einem Service Design Prozess auch großen Wert auf die Umgebung und Räumlichkeiten gelegt, in denen Ideen- und Innovationsprozesse stattfinden. Das kreative Setting zeichnet sich durch mobile Stellwände und Mobiliar sowie Raum für kreative Ideen und Utensilien aus (gute Stifte, Papier, Klebezettel, Lego-Bausteine und vieles mehr). Warum? Kommunikation funktioniert in Umgebungen einfacher, die die Kreativität fördern, macht mehr Spaß und gibt den Teilnehmern ein besseres Gefühl – das Ergebnis sind kreativere und bessere Lösungen.
Design Thinking wird weltweit seit vielen Jahren in allen nur denkbaren Industrien erfolgreich angewendet, um Innovationen voranzutreiben sowie Produkte und Dienstleistungen zu verbessern.
Legal Design Thinking
Die Rechtsindustrie nutzt das Modell des Design Thinking bisher aber nur marginal. Dabei ist dieses System längst reif dafür und es ist an der Zeit, ein effektives Legal DesignThinkingzu etablieren – und juristische Fragestellungen mit dem Mindset eines Designers zu lösen.
Ziel ist es, den Kontext und den Bedarf von Menschen, die mit Recht interagieren besser zu verstehen und auf dieser Erkenntnisgrundlage Verbesserungen und Innovationen zu schaffen – auch unter Beachtung der nutzerzentrierten und relevanten visuellen Designs. Der Nutzer von Recht sollte die beste user experience (UX) machen, damit Recht und das Rechtssystem nicht – wie so häufig – als Hindernis oder Hürde empfunden werden. Legal Design Thinking stellt damit nicht nur eine geeignete Innovationsmethode dar, sondern hat ein übergeordnetes Ziel: Menschen, die im Rechtssystem agieren und mit Recht in Berührung kommen zu ermächtigen, auf Grundlage kontextuell gut aufbereiteter und transportierter Information bessere und klügere Entscheidungen zu treffen. Auf dieser Grundlage werden Menschen dazu in die Lage versetzt autonom zu handeln und sich nicht – wie jetzt häufig der Fall – in Abhängigkeit zu fühlen. Das erleichtert den Umgang mit Recht allgemein und dann kann Recht sogar Spaß machen. Das heißt nicht unbedingt, dass der Rechtsberatungsberuf selbst in Gefahr ist – im Gegenteil: Anwälte und Juristen, die Legal Design Thinking Methoden anwenden, können sich einen echten Wettbewerbsvorteil erarbeiten – weil sie den Handelnden und sein Ökosystem wirklich verstehen und so auch antizipieren können, welche rechtlichen Probleme gelöst werden müssen bzw. welche Wege beschritten werden müssen, um etwaige Probleme frühzeitig zu umschiffen. Damit können Juristen im Übrigen ihren eigentlichen USP stärken, indem sie die Rechtsberatung als kreative Leistung erbringen und so persönlichen mit ökonomischem Mehrwert verzahnen.
Beispiel: wird ein Online–Vertrag geschlossen, können eine Vielzahl von Designoptionen eine Rolle spielen: das Template kann personalisiert werden, eine einfache, verständliche Sprache verwendet werden, nach Vertragsschluss kann dem Unterzeichner eine Nachricht übermittelt werden, in einen Vertrag oder ein Rechtsdokument können übersichtliche Infografiken eingebaut werden, das Template kann nutzerfreundlich und moblie-responsive gestaltet werden, eine klare Struktur vorherrschen usw.
Die Vorteile der Anwendung von Legal Design Thinking Methoden liegen auf der Hand: sie stellt den Nutzer in den Mittelpunkt, führt zu interdisziplinärer Kollaboration, Prototypen von Ideen werden möglichst einfach entwickelt und schnell getestet und geben so Feedback darüber, ob eine Idee den Bedarf des Nutzers tatsächlich trifft oder ob sie noch einmal angepasst werden muss – ein Weg, der zu echter und relevanter Innovation führt.
Die Methode eignet sich im Übrigen für alle Organisationen und Aufgabenstellungen in Rechtsabteilungen, Kanzleien, Justizwesen und Legal Tech Unternehmen. Sicherlich gibt es immer wieder Anwälte, die intuitiv Ausschnitte aus diesem Prozess in ihre Arbeit haben einfließen lassen. Es stellt sich aber die Frage, ob dieses intuitive Herangehen der Komplexität der heutigen Herausforderungen noch gerecht werden kann.
Was sind konkrete Ziele des Legal Design?
Mit Legal Design können viele Verbesserungen und Ziele erreicht werden, die im Bereich Recht relevant sind:
- Die Art und Form der Kommunikation – das sind beispielsweise Wortwahl und / oder Gestaltung von Rechtstexten, Gesetzen und Verträgen, aber auch die Form der Übermittlung von Informationen, egal ob persönlich oder auf virtuellem Weg.
- Die Verbesserung von Service–Angeboten gegenüber Betroffenen oder Mandanten – sowie die Beziehung zueinander.
- Verbesserung der Problemlösungen: der Perspektivwechsel auf den Nutzer im Mittelpunkt eröffnet neue Chancen, Probleme zu lösen.
- Die Entwicklung von neuen (Rechts-)Produkten und –Dienstleistungen.
- Das Schaffen einer Innovationskultur in Organisationen, die mit Recht, Rechtsgestaltung und Rechtsberatung zu tun haben.
- Bereicherung für den Rechtsberuf: ein Legal Design Mindset bietet neue Optionen für Juristen, mit neuen Geschäftsmodellen und Kompetenzen.
Legal Designmethoden in der Ableitung der Service- und Produkt- Designmethoden
Legal Design in der Praxis – understand (research, collaborate, analyze, define), systemize, create (ideate, design, prototype) und schließlich: implement
Der Methodenablauf im Legal Design Prozess folgt einer bestimmten Regel, die sich grob in die Phasen „understand“, „systemize“, „create“ und „implement“ unterteilen lässt.
Team und Kultur
Übertragen wir den Ansatz des Service Design auf die Rechtswelt, stellen sich bei einer Aufgabenstellung zunächst ganz praktische Fragen wie: welches Team sollte an einer Fragestellung arbeiten (core team – nur intern oder mit externer Unterstützung), in welcher Zusammensetzung sollten Analysen und Untersuchungen vorgenommen werden etc. Um hier nicht zu theoretisch zu bleiben: Im Grunde ist die Zusammenstellung des Innovations- und Legal Design Teams einfach, wenn auch von Fall zu Fall unterschiedlich. Das Wichtigste ist aber zunächst, dass die Kultur im Unternehmen offen für Innovationsprozesse dieser Art ist und für jedes Projekt alle Stakeholder ermittelt werden, die an einer Fragestellung oder einem Prozess beteiligt sind und sie aktiv in den Prozess zu integrieren.
Understand: from Problemsolver to Problemfinder.
Als nächstes setzen sich Legal Designer mit der Frage- und Aufgabenstellung auseinander, die gelöst werden soll. Interessant dabei ist, dass die Aufgabenstellung hier gerade nicht als schon definierte Grundlage für die geplante Lösungsfindung angenommen wird – wie Juristen es normalerweise gewohnt sind – und einen möglichst effizienten, rechtskonformen Lösungsweg von A nach B zu finden, sondern: jetzt findet der eigentlich intensivste Teil „understand“ statt. Die ursprüngliche Fragestellung wird mit unterschiedlichen Methoden genauer untersucht. Mit der aufgrund der Aufgabenstellung gefundenen Hypothesen werden dann die Stakeholder z.B. persönlich beobachtet und befragt, um deren Bedürfnisse und Nutzeninteressen entlang einer Prozesskette, die ein Service erfordert, herauszufinden. Dabei ergibt sich in sehr vielen Fällen, dass die grundlegende Problematik an ganz anderer Stelle sitzt als ursprünglich angenommen.
Systemize
In diesem Prozessschritt geht es darum, die gewonnenen Erkenntnisse aus dem „understand“ neu zu ordnen und zu priorisieren. Es geht darum, den eigentlichen Kern des Problems zu formulieren und das geschieht am besten durch den kollaborativen und interdisziplinären Blick auf die Research-Ergebnisse. Auf dieser Grundlage werden die (neu) herausgearbeitete Fragestellung und die Problemerkennung definiert.
Create
Erst jetzt geht es an die Gestaltung und in den eigentlichen Ideenprozess, um neue Lösungen zu entwickeln. Wichtig ist nach den Methoden des Design Thinking, dass die besten Ideen schnell prototypisiert werden und in der realen Welt, in der die Problemstellung aufgetreten ist, getestet werden. Mit dem schnellen Testen kann zu einem frühen Zeitpunkt im Entwicklungsprozess erkannt werden, was funktioniert und was nicht. In Iterationsschleifen können immer neue Verbesserungen an Ideen getestet werden, bevor ein Produkt oder Service marktreif ist. Das ist sicherlich der für Juristen unüblichste Schritt, ist er doch bisher darauf gepolt und auch so ausgebildet, eine möglichst perfekte Lösung zu präsentieren. Das Mindset im Design Thinking erfordert hier ein echtes Umdenken und eine Öffnung für noch nicht perfekte Lösungen. Und es erfordert ein Innovationsteam, das sich nicht scheut, in den echten Dialog mit Nutzern und Kunden zu treten und Fehler nicht als Scheitern, sondern als wertvollen Lerninput zu sehen.
Implement
Schließlich folgt die Integration der vorher getesteten und verbesserten Idee in das vorhandene Ökosystem – das kann rein intern oder auch mit externer Hilfe eines Dienstleisters passieren. Entscheidend ist hier, dass die vorhandene Struktur in einer Organisation schon von Anfang an ganzheitlich mitbetrachtet wird, was sich z.B. mit einer sog. „Nutzer– oder Customer-Journey“ bzw. einem „Service Blueprint“ sehr gut realisieren lässt. Damit lassen sich schnell Lücken und etwaiger Ergänzungsbedarf definieren. Das entdecken solcher Lücken und die Bereitschaft, Verbesserungen an einem System vorzunehmen sind für das Gelingen eines neuen Services oder einer neuen Service–Struktur letztendlich entscheidend.
Beispiel zum Vorgehen: Vertrag führt häufig zu rechtlichen Auseinandersetzungen
Wird zum Beispiel die Information, die sich aus einem Vertragstext ergibt, von Kunden, Konsumenten oder sonstigen Empfängern häufig falsch verstanden und kommt es regelmäßig zu Auseinandersetzungen, lohnt sich ein intensiver Blick nicht nur auf das Schriftstück und die Überprüfung der rechtlichen Aussage selbst, sondern – und das ist der ökosystematische Ansatz des Design Thinking – auf alle Menschen (!) und Systeme, die an der Entwicklung des Vertrages beteiligt sind. Das können automatisierte Prozesse aber auch analoge Kommunikationsmittel sein. Entscheidend ist in einem zweiten Schritt, dass der Grund für die Missverständnisse in dem Vertrag herausgefunden wird. Hier setzt das Service Design mit der Beobachtung und Analyse der Bedürfnisse aller Beteiligten an – es werden qualitative Interviews geführt und Beobachtungen in der realen Umgebung des Einzelnen vorgenommen. In sehr vielen Fällen verändern diese Beobachtungen des Ökosystems der Beteiligten die anfängliche Annahme – und es entpuppt sich an ganz anderer Stelle ein relevantes Problem. Typisch sind hier z.B. juristisch korrekte Ausführungen, die zwar rechtliche Klarheit bringen, inhaltlich aber nicht als nützlich empfunden werden. Das Mindset des Juristen sagt sich: ich habe den Vertrag juristisch korrekt formuliert – der Nutzer fragt sich aber: was steht in dem Dokument wirklich und was nützt mir das? Löst es mein aktuelles Problem?
Genau das zeigt ein praktisches Beispiel aus Finnland, in dem der große Pensionskasse VARMA seine komplette Vertragsgestaltung verändert und vereinfacht hat, weil in einem Research Prozess herauskam, dass die Empfänger von Pensionsbriefen, in denen die voraussichtliche Rentenzahlung errechnet wurde, zu massives Kundenunzufriedenheit führten. Der Research Prozess unter Beteiligung von Rechtsabteilung, Geschäftsführung (beide VARMA), beratender Anwaltskanzlei (Kanzlei Dottir), Service Design Agentur (Hellon) und Endkunden brachte zu Vorschein: Die Briefe waren zwar alle juristisch korrekt und zeigten korrekt den zu erwartenden Betrag an, den Rentner bei Eintritt ins Rentenalter zu erwarten hatten. Neben der Unverständlichkeit der juristischen Sprache sowie der unübersichtlichen Gestaltung des Briefes entdeckten die Researcher das eigentliche Problem der Pensionisten, das zur Unzufriedenheit führte: nämlich, ob der angezeigte Betrag zum Leben reichen würde und was es für Optionen gäbe, das ggf. zu verbessern. Die Folge des Projekts war nicht nur die grafische Umgestaltung des Briefes und das Verwenden einfacherer Sprache. Vielmehr wurde in der Pensionskasse eine neue Abteilung eingeführt, die sich mit den Optionen und Zusatzmöglichkeiten auseinandersetzt, wie künftige Pensionisten die Rentenhöhe verbessern können (alternative Rentensparangebote etc.).
Ein anderes Beispiel aus Afrika zeigt, dass Legal Design ein gutes Instrument ist, um verdeckte Probleme zu erkennen: Farmer in Südafrika wollten ihre Arbeiter im Bereich Nahrungsmittelherstellung auf Pünktlichkeit, Hygiene Standards und Sicherheit verpflichten, inklusive Rechtsfolgen bei Verstoß – die Arbeiter unterschrieben dazu einen Vertrag, doch allein das änderte nichts. Erst eine Untersuchung der Realität ergab: Da die meisten Arbeiter Analphabeten waren, hatten sie den Inhalt des Vertrages nicht verstanden. Nur durch Befragung und Beobachtung der Betroffenen und dem damit einhergehenden Perspektivwechsel zeigte sich die Notwendigkeit eines neuen Vertragsdesigns – der Vertrag wurde schließlich als Comic gefasst. Das Beispiel zeigt sehr schön: Die Probleme hatten nichts mit der rechtlichen Verständlichkeit und Korrektheit des Vertragstextes zu tun, sondern allein damit, dass die Sichtweise der am Prozess Beteiligten nicht genau untersucht wurden und deren Bedürfnisse anfangs nicht im Mittelpunkt der Problemlösung standen. (Das Beispiel stammt aus dem Vorwort der Publikation „Liquid Legal“)
Legal Design im Kommen.
Der im November 2017 in Helsinki abgehaltene internationale Legal Design Summit mit rund 600 Teilnehmern hat gezeigt: Legal (Service) Design wächst gerade aus den Kinderschuhen, auch wenn viele Aktivitäten derzeit noch vor allem im US-amerikanischen Umfeld und dort vorwiegend von Universitäten und Law–Schools getrieben werden. Allen voran steht hier das Stanford Legal Design Lab unter der Leitung von Margaret Hagan – eine Juristin und Designerin, die seit einiger Zeit erfolgreiche Modelle entwickelt, und den Blick des Designers auf die Angebote von Juristen überträgt. Sie konzentriert sich hauptsächlich auf das Thema des sog. „access to justice”, also dem Zugang zum Recht – ein Bereich, der aufgrund der hohen Anwalts- und Gerichtskosten in den USA besonderer Aufmerksamkeit bedarf.
In Europa ist das Thema immer häufiger zu finden – wissentlich gibt es in Finnland, Holland, Frankreich, Italien und Deutschland erste Legal Design Ansätze, entweder auf Service Agentur Seite oder auch von Kanzleien, die sich bereits trauen, Legal Designer anzustellen oder in Projekte zu integrieren. In Deutschland ist auf Service Design Agenturseite IXDS GmbH als Pionier unterwegs. Aber auch kanzlei- und rechtsabteilungsseitig gibt es erste zarte Sprösslinge zu beobachten – öffentlich kommuniziert wird hier aber noch verhältnismäßig wenig.
Eine andere Bewegung ist im Umfeld von Liquid Legal (Kai Jacob, Dierk Schindler) zu sehen: mit dem Ausrufen ihrer sog. common legal plattform wollen die Verfechter der interdisziplinären Erarbeitung einheitlicher Standards für Innovationen im Rechtsmarkt eine auf Co-Innovation und Kollaboration ausgerichtete Plattform ins Leben rufen, in der Legal Design eine tragende Rolle spielen wird.
Wie wird man Legal Designer?
Im Moment lässt sich Legal Design in Deutschland nicht studieren, sondern setzt Fähigkeiten im Bereich Recht und Design voraus. Wenn man selbst nur eine der beiden Ausbildungen hat, lohnt sich kollaboratives Arbeiten. Natürlich lassen sich die Fähigkeiten von Designern im Kontext des Juristischen adaptieren – das bereits industrieübergreifend angewendete Design Thinking bietet dafür auch ein ideales Instrumentarium.
Dennoch sollten Juristen aufpassen, und sich nicht ohne weitere Vertiefung von Kenntnissen im Design als „Legal Designer“ bezeichnen. Zum einen, weil Design ein eigener Beruf ist, zum anderen, weil der Jurist die Fähigkeiten des Designers meistens gerade nicht besitzt und sein Denken ja erst erlernen muss. Umgekehrt dürfte es auch eher wenige Designer geben, die sich ohne Studium oder Vertiefung in die juristische Materie „Jurist“ nennen. Aber das nur als kleiner Exkurs.
Legal Design in der juristischen Ausbildung – Legal Tech ist noch keine umfassende Antwort, aber ein guter Start.
Ein universitäres Angebot wäre sehr sinnvoll. Gerade vor dem Hintergrund, dass heutige Jurastudenten sich mit traditionellen Mitteln auf juristische Berufe vorbereiten, die durch die rasante digitale Entwicklung im Juristischen wie allgemein massiv im Wandel sind. Hier wären zumindest ergänzende Unterrichtsinhalte sinnvoll, die einen nach aktuellem (klassischem) curriculum ausgebildeten Studenten ermächtigen, künftig in einer Praxis zu arbeiten, in der digitale Hilfsinstrumente selbstverständlich sind und ihn darauf vorbereiten, Innovationen und Verbesserungen selbst mit Fachverstand zu entwickeln.
Studenten hier zumindest im Bereich „Legal Tech“ mehr Optionen zu bieten, haben einige Ausbildungsstätten in Deutschland zwar schon erkannt. Vielfach sind es aber auch Studenten selbst (wie z.B. in München MLTech), die sich selbst organisieren und andere Lehrinhalte eigenständig auf die Beine stellen. Legal Tech ist aber nicht die einzige Antwort auf die Veränderungen im Rechtsmarkt. Es ist vielmehr ein viel breiterer Lösungsansatz nötig, um die Herausforderungen zu meistern. Und auch hierfür kann Legal Design als optimale Methodengrundlage herangezogen werden. Die Diskussion sollte sich nicht zu sehr auf Legal Tech verengen (obwohl das Buzzword viele Themen ins Laufen bringt). Wichtig wäre es, den Studierenden ein Denkwerkzeug und Mindset beizubringen, wie z.B. Legal Design, das sie in allen professionellen Herausforderungen ermächtigt, bedarfsgerechte Lösungen und Angebote zu entwickeln – kollaborativ und interdisziplinär. Universitäten könnten sehr leicht damit beginnen, indem sie z.B. ein Legal Design Lab ins Leben rufen und mit der Methode des Design Thinking Projekte erarbeiten, neue Lehrangebote erfinden – stets im interdisziplinären Austausch und in variabler Zusammensetzung betroffener Stakeholder an einem Prozess. Legal Design Labs gibt es derzeit in den USA und sie eignen sich als Muster für Deutsche universitäre Angebote. Dort gibt es mittlerweile sogar einen. „Law School Innovation Index“ ( https://www.legaltechinnovation.com/law-school-index/) für Universitäten – was sich vor allem beim dortigen universitären System als Wettbewerbsvorteil nutzen lässt.
Folgendes Statement zum Thema Legal Design von Rechtsanwalt Antii Innanen (Kanzlei Dottir / Finnland) zeigt ganz gut, an welcher Stelle im Denkprozess Anwälte heutzutage schon sein können:
Legal Design is not visualising contracts or using plain and understandable language in legal work.
These are the OUTCOMES of the legal design process & mindset.
*LAWYERS‘ MINDSET*
Clients contact lawyers in order to solve complex legal problems.
Lawyers are taught to use THEIR expertise and previous experience to deliver high-quality legal services.
We are taught what the law is and we are then taught how to apply the law to a problem from the mindset and perspective of a lawyer.
Only later, usually through actual work do we cultivate an ability to see and understand a legal problem and its challenges through the eyes of our clients.
*DESIGNERS‘ MINDSET*
Designers refuse to design anything before understanding the end user – what they do, how they use things or what they need.
Only after this will they proceed (often in collaboration with others) with solutions to the problems.
*LEGAL DESIGN MINDSET*
Lawyers need to adopt the design mindset to gain a deeper understanding of their clients‘ needs – both immediate and future.